Dilemmata – beispielsweise in komplexen Transformationsprogrammen – sind immer Schieflagen innerhalb großer Unternehmen und Konzerne. Während beispielsweise das deutsche Insolvenzrecht drei konkrete Anlässe zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kennt, ist das Innenleben in Organisationen de facto ungeregelt. Nichts ist geduldiger als eine bunte PowerPoint-Präsentation, die erklärt, warum alles gut ist, obwohl tatsächlich schon länger im Untergrund deutliche oder sogar massive Probleme bestehen. Im Gegensatz zu den Konsequenzen im Insolvenzrecht¹ sind die Führungskräfte im Inneren einer Organisation am stärksten mit einem Aufhebungsvertrag konfrontiert.
So können vier organisatorische Aggregatzustände gekennzeichnet werden, die völlig unterschiedliche Herangehensweisen bedürfen: Explosion, Implosion, Kollaps oder Stillstand. Dabei sind diese Zustände allerdings schon Endprodukte. Welcher Zustand sich vermutlich in Ihrer Organisation findet oder finden könnte, hängt im Wesentlichen von Ihrer Organisationskultur ab. Hier die vier Aggregatzustände mehr im Detail:
Explosion (E):
Meist eher extrovertierte, sehr leidenschaftliche Kulturen, die sich jedoch im Laufe der Jahre einer sozialen Anpassung unterworfen haben. Es brodelt oft unterschwellig – die Konflikte sind zu spüren und teilweise auch sichtbar, jedoch werden sie schon länger immer wieder von oben “gedeckelt”. Wenn dann jedoch diese gedeckelte Energie an Konflikten nicht mehr gehalten werden kann, kommt es zum regelrechten Ausbruch.
Implosion (I):
Im Gegensatz zur Explosion, in der der Innendruck größer als der Außendruck wird, erfolgt die Implosion durch den höheren Außendruck, der auf das System einwirkt. Kennzeichen für diese Kulturen sind deutlich ausgeprägte soziale Anpassungen, d.h. wenige oberste OrdnerInnen² bestimmen das Geschehen und haben meist über Jahre hinweg die Menschen in der Organisation mit starren Regeln und Richtlinien an der kurzen Leine geführt.
Kollaps (K):
Der Kollaps ist von den vier Aggregatszuständen eher seltener anzutreffen. Vieles scheint in dieser Kultur zu funktionieren: Die Führungskräfte und Mitarbeitenden fühlen sich sehr wohl und das Geschäftsmodell sorgt in diesen Fällen immer für reichlich Rendite, sodass meist über viele Jahre hinweg zwar gefühlte Veränderungen vorgenommen werden, allerdings nicht wirklich substanziell erfolgen. So fällt dann irgendwann das „Schein-System“ in sich zusammen. Dieser Kollaps kann sehr zügig geschehen, indem das Geschäftsmodell plötzlich nicht mehr funktioniert, oder sich über einige Jahre hinziehen, beispielsweise weil durch Muttergesellschaften noch weiterer Cash–Flow vorhanden ist.
Stillstand (S):
In dieser Kategorie finden Sie in der Regel die größten Status quo-BewahrerInnen. Die gesamte Kultur zeichnet sich dadurch aus, dass meist über viele Jahre hinweg erfolgreich jede wirklich wichtige Veränderung verhindert wurde. Häufig wird dann die Geschäftsführung oder der Vorstand ausgetauscht (z. B. vergleichbar mit einem Trainerwechsel im Sportbereich), was aber oftmals mittel- und besonders langfristig nicht die gewünschte Veränderung mit sich bringt.
Warum ist die Einteilung in die E-, I-, K, S-Kategorie so hilfreich?
Jeder gewünschte Wandel bedarf einer speziellen Energie und Kraft unterhalb der offiziellen Ziele. Unsere Erfahrungen zeigen, dass Sie mit dem E-Typ die besten Chancen auf zielführende Veränderungen haben. Da sich viel Energie im System befindet, liegt es an Ihnen, diese in effektive Kraftfelder umzugestalten.
Bei dem I-Typ ist es schon schwieriger, denn Sie haben zwei herausfordernde Themen-Landschaften: zum einen eine deutlich sozial–angepasste Kultur mit genormten Wegen und zum anderen wenige oberste OrdnerInnen „Führungskräfte/ Manager“, die dieses System bestimmen.
Noch herausfordernder und langfristiger wird es beim K-Typ. Es bedarf daher zunächst einer gründlichen Reflexion, um die Schwächen und Konflikte im Inneren des/Ihres Unternehmens zu erkennen. Jedoch bringen gerade Transformationsprogramme die große Chance mit sich, neue Energien und Kraftfelder zu erwecken und zu bündeln, um das Unternehmen ganzheitlich in eine neue Richtung zu bringen.
Der S-Typ erfordert in der Regel einen ähnlich langen Atem für einen schwierigen Weg. Eine der großen Herausforderungen ist hier das Finden einer Motivationsbasis, die den Menschen in der Organisation ein neues, erstrebenswertes Ziel gibt. In extremen Fällen kann dieses Ziel auch ganz einfach das Erreichen eines neuen Status quo-Levels sein, in dem dann das (neue) Bewährte wieder für eine gewisse Zeit aufrechterhalten wird.
Es lässt sich konstatieren, dass im Vorfeld eine sehr gute Analyse notwendig ist, damit an den richtigen Schrauben gedreht wird und Ihr Transformationsprogramm von Beginn an in die richtigen Bahnen gelenkt wird. Die gute Nachricht ist: In allen genannten Kategorien kann der finale Aggregatszustand verhindert und stattdessen dafür gesorgt werden, dass das „Schiff der Veränderung“ wieder Fahrt aufnimmt und nicht in einen unkontrollierbaren Sturm gerät.
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Fußnoten:
¹ Versäumt die Geschäftsführung oder der Vorstand den rechtzeitigen Eröffnungsantrag, drohen Freiheitsstrafen oder eine Geldstrafe.
² Als den/die “oberste OrdnerIn” bezeichnen wir bei HMC eine Person oder eine bestimmte Gruppe an Personen, die von mindestens einer anderen Person als höchste hierarchische Instanz anerkannt wird. In Unternehmen ist der/die oberste OrdnerIn meist der Vorstand.