Zum Einstieg in diesem Blog möchte ich zunächst eine wichtige Klärung voranstellen, was „Realität“ in der offiziellen Definition des Dudens bedeutet. Es geht nach dieser Erklärung um a) Wirklichkeit, b) reale Seinsweise und c) tatsächliche Gegebenheit/ Tatsache. Der Wunsch nach dieser tatsächlichen Sachlichkeit ist enorm groß sowohl in den Organisationen als auch in der Politik. Im Blog 27 Emotionen im Business sind wir darauf eingegangen, wie wichtig die Emotionen auch im Business sind. In diesem Blog geht es um eine Erweiterung der Sicht und damit ebenfalls die Erweiterung der Komplexität der sachlichen Wirklichkeit oder eben Realität.
Als Change Manager kommen wir regelmäßig mit unterschiedlichen Parteien zusammen, die auf eine gemeinsame Wirklichkeit schauen. Tatsächlich ergeben die Einzelgespräche immer wieder vielfältige Facetten oder gar ganz andere Wirklichkeiten. Gerne erinnere ich mich in diesem Zusammenhang an ein Projekt, an dem ich vor vielen Jahren teilnahm, als ich noch Manager in einem Dax-Konzern war. Es war das erste Mal in meinem jungen Managerleben, dass ich kurzfristig in ein sich als sehr zäh und schleppenden erweisendes Projekt berufen wurde. Wie es das Schicksal wollte, wurde ich zum einen gleich als neuer Projektleiter berufen und zum anderen befasste ich mich direkt mit vielen verschiedenen Akteuren und Parteien aus internen und externen Welten. Das erste Projektmeeting war dann für mich persönlich gefühlt eine Katastrophe. Ich musste feststellen, dass sich diese verschiedenen Parteien über ein scheinbar sachliches, reales Problem zerstritten hatten. Es waren, so meine Feststellung, keine unterschiedlichen Sichten über Lösungswege. Das große Problem war, dass jede Partei eine eigene Wahrheit entwickelt hatte und bereits die Ausgangslage völlig unterschiedlich in der Wahrnehmung war. Es war somit der Beginn einer bewussten Auseinandersetzung von Realität und Wahrnehmungsstörungen.
Es lohnt sich ein Blick in die Psychologie und Psychiatrie. In den internationalen Standards dazu, dem ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems), gibt es eine Art Definition dazu:
„Sonstige Symptome, die die Sinneswahrnehmungen und das Wahrnehmungsvermögen betreffen“¹
Das sind: Akustische Halluzinationen, Optische Halluzinationen, Sonstige Halluzinationen, Halluzinationen, nicht näher bezeichnet und sonstige und nicht näher bezeichnete Symptome, die die Sinneswahrnehmungen und das Wahrnehmungsvermögen betreffen.
Haben Sie dies auch schon einmal erlebt, dieses Gefühl, dass Sie nicht wissen, warum die anderen eine andere Realität sehen? Auch wenn das Thema sehr ernst war, dämmerte in dem oben aufgeführten Projektbeispiel nach einige Gesprächen der einen Partei, dass da in der Wahrnehmung oder in deren Realität ggfs. etwas nicht stimmen konnte. Der Gesprächspartner machte eine dazu humorvolle Anmerkung, die auf ein gemeinsames „Pizza-Essen“ in einer Projektbesprechung anspielte: „…so langsam frage ich mich, ob auf der Pizza noch andere Substanzen drauf waren…“.
Viele verschiedenen Faktoren bestimmten die sogenannte Realität. Manchmal ist es so, dass eine jede oder ein jeder seine eigene Realität festgelegt hat. Auch ohne, um die humorvolle Anmerkung des Projektteilnehmenden aufzunehmen, dass etwas auf der Pizza war. Sehr wichtig ist es aus unserer Sicht, sich im betrieblichen Prozess oder im Projekt zu hinterfragen, ob alle an Bord sind und die Realität zumindest sehr ähnlich empfinden, sehen, hören, riechen oder fühlen. Gerne wird die Realität – manchmal auch je nach Interessenlage – anders gesehen. Wenn dann ggfs. mächtige Player mit an Bord sind, bestimmen ggfs. auch diese (einseitig) die Realität, selbst wenn alle anderen diese ganz anders betrachten.