Der Artikel „Begraben unter Projekten“¹ ist einigen sehr interessanten Aspekten aus unserem Organisationsalltag gewidmet. Die Fragen ergeben sich häufig in Dialogen über die aktuelle Situation von Führungskräften und Mitarbeitenden:
Wann hat es eigentlich angefangen, dass wir gefühlt von der einen in die nächste Veränderung mit zahlreichen Wandel-, Veränderungs-, Change- oder Transformationsprojekten gehen? Wann hört das endlich auf? Wie soll das auf Dauer noch funktionieren?…

Als ehemaliger Manager und Organisationsberater und Trainer bewege ich mich seit fast 30 Jahren durch die Veränderungslandschaften verschiedener Industrien, wie beispielsweise Banken, Handel oder der Energiewirtschaft. Aufgewachsen bin ich in einer beruflichen Zeit, die noch ohne Emails, Excel und Power Point auskam. Das Telefax kam damals gerade erst auf. Es lastete aber bereits ein Veränderungsdruck auf den Kreditinstituten, die auch damals schon auf neue Entwicklungen reagieren mussten. Aus heutiger Sicht waren Veränderungsanzahl und -geschwindigkeiten allerdings noch deutlich geringer. Die im vorliegenden Artikel beschriebenen Belastungen sind mir aus meiner Zeit als Manager noch bekannt. Aus dem, wie die Menschen in den Organisationen ihre Erlebnisse schildern, sowie meinen persönlichen Beobachtungen weiß ich, dass ein Gefühl des „Begrabens unter Projekten“ in den letzten Jahren zunimmt. Und es betrifft Führungskräfte und Mitarbeitende gleichermaßen! Ein Aspekt oder Kennzeichen ist sicherlich die hohe Erwartung an die Antwortzeiten auf Email, SMS, Whatsapp-Nachrichten oder sonstige Kommunikationsformen. Die Nutzung solcher Dienste trägt dazu bei, dass alles schneller läuft, und zudem hat der Austausch mit Hilfe von schriftlichen Kommunikationsmitteln die persönliche Kommunikation quantitativ und qualitativ reduziert.

 

Hinzu kommt die Angst um den Arbeitsplatz, sodass ein persönlicher Anpassungsdruck entstehen kann. Bei solchen Spiralen sind negative Muster möglich, die die gesamte Organisation erfassen können. In Gesprächen auf allen Ebenen einer Organisation fällt dann nicht selten folgender Satz: „…ich bin da selbst nur Getriebener…“. Sagen dies Mitarbeitende, Führungskräfte und sogar der Geschäftsführende bzw. Vorstand, bleibt die Frage im Raum stehen, wer den Anfang macht, das Muster durchbricht und als erster aus dem Tunnel herausgeht?
Bei sehr starken Ausprägungen kann auch von einer Organisationsstörung gesprochen werden. So wie der menschliche Organismus solche einen „erlernten Schmerz“ in den Köperzellen abspeichert, kann auch der „Organisationskörper“ ein Gedächtnis dafür ausprägen. Ein erster wichtiger Schlüssel liegt daher in jedem von uns selbst:

„Der, der jammert, ist der Patient“ oder anders „Wenn ich mich verändere, dann verändere ich andere und die Situation“ kann das Credo daher lauten. Es ist also sinnvoll, diese Entwicklung zunächst als neuen Rahmen zu akzeptieren; sich einer neuen inneren Haltung zuzuwenden und somit keine (negative) Energie und Kraft in etwas zu verlieren, was (ausschließlich) momentan nicht veränderbar ist. Es geht darum, neue Lösungswege für sich und seine Organisation zu finden. Entscheidend ist bei dem Arbeitsdruck nicht die „to-do-list“, sondern das individuell gefühlte Befinden – die innere Wahrnehmung. Jeder geht anders mit dem Druck und dem Stress um, der daraus resultiert. Jeder hat auch ein eigenes Coping-System².

Der zweite wichtige Schlüssel liegt daher in den Emotionen sowie in den erlernten Verhaltens- und Denkmustern. Es geht darum, meine eigene Beziehung – also die Beziehung, die ich mit mir selbst habe – und die Beziehungen mit anderen Menschen zu managen. Konflikte meistern, Widerstände und Blockaden aktiv nutzen, interkulturell steuern und eine Work-Life-Balance tatsächlich in den Alltag einbauen sind wichtige Stellgrößen, die jede Person für sich erschließen, erlernen und nutzen kann. Die fachlichen und die nicht-fachlichen Welten ergeben schließlich ein harmonisches Gesamtwerk. Es ist kein einfacher Weg, aber er lohnt sich!

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